Fünf Sender und ein Todesfall
Die einschlägigen Medienseiten beschäftigen sich heute mit den TV-Übertragungen der Trauerfeier für Robert Enke. Zwei lesenswerte Artikel sind heute erschienen. In sehr prägnanter und pointierter Form beschäftigt sich Markus Ehrenberg im Tagesspiegel mit der Rolle der Talkshow-Universalexperten von Beckmann bis Udo Lattek. "Waren die Menschen vor dem Fernsehen auch schon so doof? hat mal ein Kulturkritiker gefragt. Mit einigen Talkrunden zum Tod von Robert Enke sind die Menschen in den letzten Tagen, wenn nicht schlauer, so doch zumindest einfühlsamer geworden." Die Frage ist, wie lange die behauptete Einfühlsamkeit anhält. Bis die nächste Sau durchs Mediendorf getrieben wird? Was war eigentlich nochmal BSE?
Tiefgehender behandelt Harry Nutt sowohl in der Berliner als auch in der FR den veränderten Umgang mit Trauer - in Zeiten, in denen selbst familiäre -ich möchte fast sagen, intime- Momente wie eine Trauerfeier zum Massenspektakel werden. "Angesichts dessen, was da als tendenziell serielles mediales Trauerformat heranreift, empfiehlt sich dennoch skeptische Aufmerksamkeit. Tragische Ereignisse treiben unweigerlich die Träger von Teelichtern auf die Straße, was nahezu zeitgleich Kamerateams in Bewegung setzt. Die Echtheit der Gefühle ist vom Kalkül kaum zu unterscheiden. Letztlich spielt der feine Unterschied auch keine Rolle. Der Tod von Lady Di und Michael Jackson hat Welttrauergemeinden auf die Straße und vor die Fernseher getrieben."
Wie wird es sein, wenn der nächste Superstar stirbt? Wird es dan uncool sein, wenn die Trauerfeier nicht mindestens in einem Sportstadion stattfindet? Müssen sich Angehörige dann rechtfertigen, wenn sie nur in kleinem Kreis Abschied nehmen wollen?
Bedingt durch meinen Beruf als Altenpfleger habe ich an vielen Trauerfeiern und Beerdigungen teilgenommen. Und ich ertrage es überhaupt nicht mehr, wenn Menschen (egal ob Pfarrer oder andere Redner) ihre salbungsvollen Worte über einen Verstorbenen ergießen den sie nicht einmal kannten. Ich selber kam einmal in die Situation die Trauerrede für eine Frau zu halten, die nach ihrer Vergewaltigung durch die Russen im zweiten Weltkrieg zeitlebens schwere psychosomatische Probleme hatte und dadurch große Schwierigkeiten hatte, soziale Kontakte aufzubauen und zu erhalten. Sie war jedem gegenüber misstrauisch. Genau das habe ich in meiner Trauerrede zum Thema gemacht - weil es die Lebensaufgabe dieser Frau war, mit diesem an die Substanz gehenden Problem fertig zu werden. Die Trauergemeinde war ob diesen Tabubruchs völlig vor den Kopf gestoßen. Ich habe das Geschehen nicht gewertet - nur in klaren Worten geschildert. Eine Situation die Zehntausende Frauen aus der damaligen Zeit leidvoll erfahren haben. Es waren halt nicht die üblichen Lobhuddeleien ob des teueren Toten, sondern eine ehrliche Bestandsaufnahme einer gelebten Biographie. Die Tochter der Verstorbenen hat mit mir tagelang nicht geredet - bis sie nach längerer Zeit zu mir kam, um mir zu danken. Viele Menschen seien zu der Tochter gekommen und hätten ihr gesagt, das sich das Bild der Verstorbenen erst jetzt gerundet hätte.
Und deswegen kotzt es mich an, wenn Menschen wie Beckmannkerner sich anmaßen, in diesen Dingen mitzureden und ihr Geseier auch noch millionenfach in die Hirne anderer Schwachmaten blasen. Dieser Umgang mit dem Thema Tod passt in eine Gesellschaft, in der Leute wie der Plastinator / Leichenschänder Gunter von Hagen mit toten Körpern Geschäfte machen können. Sie wissen nichts über den Tod. Sie wissen nichts über das wichtigste Ereigniss im Leben eines Menschen. Ein Mensch in der Sekunde vor dem Schwellenübertritt hat die höchste Bewußtseinsform seines irdischen Lebens erreicht. Er hat alle Erfahrungen gemacht, die er als Erdenmensch hat machen können. Er steht vor einer weit größeren Aufgabe, als der, sein Erdenleben zu meistern - er muss sich auf seine nächste Inkarnation vorbereiten. Davor müssen wir Respekt haben. Es ist respektlos, einen Freitod nur über die Frage der Depressionen (zweifellos entscheidend) zu behandeln. Der Versuch, dieses nur rational abzuarbeiten muss scheitern.
Mit der vorgegaukelten Tiefgründigkeit und der brechreizerregenden Einfühlsamkeit von Beckmannkerner werden der großen Masse der Zuseher Denkfloskeln an die Hand gegeben, die sich verselbständigen. Dieser mediale Trauer-Overkill erfüllt natürlich seine Funktion dahingehend, das er das Denken über den Tod -und damit das Leben- abgewöhnen soll. Ein Mensch, der über sein Ich nachdenkt, wird vielleicht einer, der Widerspruch übt, der nicht mehr nur funktional seine Rolle ausübt. Mit diesen Denkfloskeln wird aber eine wirkliche Beschäftigung mit diesen elementaren Fragen verhindert. Der Freitod als Sensation - weiter nichts.